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Mittwoch, 26. November 2008
Bildungsvielfalt? Bildungsapartheid!
gebaeude, 12:50h
Update
Doch nicht, alles bleibt gut und kann noch besser werden. Realitätsverweigerungsspezialistin Pia Amacher fühlt sich übrigens alles andere als Verliererin. Und das bei vier mal so viel Gegenstimmen. Ebenfalls bei der Siegesfeier der Elternlobby gesichtet: Die Arlesheimer Politikerinnen Anet Spengler und Sibylle von Heydebrand.
Um Bildungsvielfalt geht es der Elternlobby im Kern doch gar nicht. Eigentlich möchten sie nur, dass ihre Kinder das Klassenzimmer nur mit den besten Schülern teilen, weil sie meinen, damit ihren Kindern einen Dienst zu erweisen. Ist das gerecht?
Soziale Herkunft entscheidet
Zunächst sollte, besonders den Initianten, folgende Faktenlage klar sein. Im Zuge von PISA wurde erhoben und nachgewiesen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungschancen der Kinder in Deutschland und der Schweiz besonders stark ist (OECD, PISA, 2001, 140). Weiter muss vorausgeschickt werden, dass die Diskriminierung von sozial Schwächeren im Schweizer Bildungssystem institutionalisiert ist, besonders stark bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Bildungsaspirationen dieser Gruppe werden von Lehrpersonen oft als "unrealistisch" eingestuft, entgegen ihrer objektiven Leistungen und Noten (Reissig, et. al., 2004). Das wird wirksam bei der Platzierung auf der Sukundarstufe I. und besonders relevant später auf dem Arbeitsmarkt (Gomolla, Radke, 2002).
Neue Selektionsverfahren
Was hat das mit der freien Schulwahl zu tun? Eine ganze Menge. Dias Baselbiet wäre dafür ja nicht die globale Pilotregion. Andernorts wurden bereits Erfahrungen gesammelt. Die Soziologin Mechtild Gomolla hat über Institutionelle Diskriminierung ein Standardwerk geschrieben (2007), dessen Datenbasis breit abgestützt ist. In angelsächsischhen Ländern wurde durch die autonomisierung der Schulen für Schüler mit einem Migrationshintergrund und aus unteren Sozialschichten eine markante Verschlechterung der Bildungschancen festgestellt. Aus der freien Schulwahl bilden sich neue Selektionsmechanismen für schulische Institutionen.
"Es gilt inzwischen als unstrittig, dass die Verbindung von Schulautonomie mit einer weitreichenden Durchmarktung des Schulwesens un der Ausweitung der Möglichkeiten zur freien Schulwahl die Tendenz forciert, dass die Schulen gezielt die Schülerinnen und Schüler auswählen, die ihnen den grössten Nutzen versprechen. Kinder mit erwarteten Defiziten in der Unterrichtssprache oder Lernbeeinträchtigungen werden als besonders kostenträchtige und daher für die meisten Schulen unattraktive Gruppen wahrgenommen. [...] Solche Kinder werden im Wettkampf um gute Ranglisten-Plätze eher als Hindernis wahrgenommen (Gomolla, 2007)."
Institutionalisierter Rassismus
Alarmierend ist dabei die Formulierung "erwartete Defizite". Dabei handelt es sich um ein institutionalisiertes Diskriminierungsverfahren, bei dem nicht selten rassistische Stereotypisierungen, oder auch sozio-kulturelle Annahmen, zu dieser Defiziterwartung führen. Dass dieser Mechanismus in der Schweiz sehr wohl so spielt wies auch das TREE Arbeitspapier "Herkunft oder Leistung? Analyse des Eintritts in eine Zertifizierende Nachobligatorische Ausbildung Anhand der Daten des Jugendlängschnitts TREE" 2006 nach. TREE ist die erste Jugendlängschnittsstudie der Schweiz, auf Basis von über 4000 Jugendlichen, die im Jahr 2000 an der PISA Studie teilgenommen haben.
Das Fazit: Mit der freien Schulwahl werden die sozial Bessergestellten noch bessere Bildungsperspektiven für ihre Kinder haben, die soziale Unterschicht und Kinder mit Migrationshintergrund noch schlechtere wie heute. Und bereits heute sind ihre Chancen unabhängig von ihrer Leistung signifikant schlechter. Wollen wir also die Bildungsapartheid?
Das Urteil ist Ihnen überlassen, am kommenden Samstag.
Mehr zum Thema:
http://arlesheimlich.blogger.de/stories/1117760/
Doch nicht, alles bleibt gut und kann noch besser werden. Realitätsverweigerungsspezialistin Pia Amacher fühlt sich übrigens alles andere als Verliererin. Und das bei vier mal so viel Gegenstimmen. Ebenfalls bei der Siegesfeier der Elternlobby gesichtet: Die Arlesheimer Politikerinnen Anet Spengler und Sibylle von Heydebrand.
Um Bildungsvielfalt geht es der Elternlobby im Kern doch gar nicht. Eigentlich möchten sie nur, dass ihre Kinder das Klassenzimmer nur mit den besten Schülern teilen, weil sie meinen, damit ihren Kindern einen Dienst zu erweisen. Ist das gerecht?
Soziale Herkunft entscheidet
Zunächst sollte, besonders den Initianten, folgende Faktenlage klar sein. Im Zuge von PISA wurde erhoben und nachgewiesen, dass der Einfluss der sozialen Herkunft auf die Bildungschancen der Kinder in Deutschland und der Schweiz besonders stark ist (OECD, PISA, 2001, 140). Weiter muss vorausgeschickt werden, dass die Diskriminierung von sozial Schwächeren im Schweizer Bildungssystem institutionalisiert ist, besonders stark bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Bildungsaspirationen dieser Gruppe werden von Lehrpersonen oft als "unrealistisch" eingestuft, entgegen ihrer objektiven Leistungen und Noten (Reissig, et. al., 2004). Das wird wirksam bei der Platzierung auf der Sukundarstufe I. und besonders relevant später auf dem Arbeitsmarkt (Gomolla, Radke, 2002).
Neue Selektionsverfahren
Was hat das mit der freien Schulwahl zu tun? Eine ganze Menge. Dias Baselbiet wäre dafür ja nicht die globale Pilotregion. Andernorts wurden bereits Erfahrungen gesammelt. Die Soziologin Mechtild Gomolla hat über Institutionelle Diskriminierung ein Standardwerk geschrieben (2007), dessen Datenbasis breit abgestützt ist. In angelsächsischhen Ländern wurde durch die autonomisierung der Schulen für Schüler mit einem Migrationshintergrund und aus unteren Sozialschichten eine markante Verschlechterung der Bildungschancen festgestellt. Aus der freien Schulwahl bilden sich neue Selektionsmechanismen für schulische Institutionen.
"Es gilt inzwischen als unstrittig, dass die Verbindung von Schulautonomie mit einer weitreichenden Durchmarktung des Schulwesens un der Ausweitung der Möglichkeiten zur freien Schulwahl die Tendenz forciert, dass die Schulen gezielt die Schülerinnen und Schüler auswählen, die ihnen den grössten Nutzen versprechen. Kinder mit erwarteten Defiziten in der Unterrichtssprache oder Lernbeeinträchtigungen werden als besonders kostenträchtige und daher für die meisten Schulen unattraktive Gruppen wahrgenommen. [...] Solche Kinder werden im Wettkampf um gute Ranglisten-Plätze eher als Hindernis wahrgenommen (Gomolla, 2007)."
Institutionalisierter Rassismus
Alarmierend ist dabei die Formulierung "erwartete Defizite". Dabei handelt es sich um ein institutionalisiertes Diskriminierungsverfahren, bei dem nicht selten rassistische Stereotypisierungen, oder auch sozio-kulturelle Annahmen, zu dieser Defiziterwartung führen. Dass dieser Mechanismus in der Schweiz sehr wohl so spielt wies auch das TREE Arbeitspapier "Herkunft oder Leistung? Analyse des Eintritts in eine Zertifizierende Nachobligatorische Ausbildung Anhand der Daten des Jugendlängschnitts TREE" 2006 nach. TREE ist die erste Jugendlängschnittsstudie der Schweiz, auf Basis von über 4000 Jugendlichen, die im Jahr 2000 an der PISA Studie teilgenommen haben.
Das Fazit: Mit der freien Schulwahl werden die sozial Bessergestellten noch bessere Bildungsperspektiven für ihre Kinder haben, die soziale Unterschicht und Kinder mit Migrationshintergrund noch schlechtere wie heute. Und bereits heute sind ihre Chancen unabhängig von ihrer Leistung signifikant schlechter. Wollen wir also die Bildungsapartheid?
Das Urteil ist Ihnen überlassen, am kommenden Samstag.
http://arlesheimlich.blogger.de/stories/1117760/
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